Wer im Kadett Rekorde bricht, wird Kapitän

Zitiert aus FAZ 18.Oktober 2004 Seite 37

Kannst ruhig Manni zu Heinz sagen: Die Geschichte von Opel ist auch die Geschichte vom Niedergang eines bürgerlichen Milieus und seines Wertesystems

Als 1968 der Opel GT vorgestellt wurde, hatte die Marketing-Abteilung des Rüsselsheimer Unternehmens einen besonderen Einfall. Der Einfall bestand darin, die bisherige Opel-Kundschaft zugunsten eines jüngeren Images nach Kräften lächerlich zu machen. Man schaltete einen Werbespot, in dem ein Sprecher im Wochenschau-Tonfall eine Ode an die Jugend deklamierte: "Die Welt", krähte der Mann, "ist jünger, elastischer geworden. 1980 wird jeder zweite Mensch unter 22 sein. Das sind die Menschen einer neuen Generation. Sie lieben Tempo, sie lieben Entfesselung." An dieser Stelle des Werbefilms sieht man den neuen Opel GT. Dazu brüllt ein Chor junger Menschen: "Heißer Ofen! Superheuler! Für den alten Herrn, wenn er noch jung ist - aber vor allem für uns! Weil wir jung sind!" Man beließ es nicht dabei. Man zeigte auch einen dickeren älteren Herrn, der vergeblich versucht, seinen Hintern zwischen Lenkrad und Sitzlehne des Sportwagens zu zwängen. Dazu kommt eine hämische Stimme aus dem Off: "Tjaa . . . der Opel GT paßt wohl nicht so ganz. Macht ja nichts . . . wir sind sicher, wir haben auch für Sie etwas Passendes." Die Verhöhnung der bisherigen Stammkundschaft zeigt, wie nervös man auf einen grundlegenden soziologischen Wandel reagierte, der Opel tatsächlich auf längere Sicht das Genick brechen sollte: den Wandel von der Spar- zur Spaßkultur, vom Familienauto zum Fahrgerät.

Die Geschichte von Opels Untergang ist auch die Geschichte vom Niedergang eines bürgerlichen Milieus und seiner Werte. Fleiß, Zuverlässigkeit, Familiensinn - das war dem Opel ins Blech gepreßt. Schon im Crescendo der Modellnamen sedimentierten sich Aufstiegsträume und Disziplin des Wirtschaftswunderlands. Wer einen "Rekord" bei der Arbeit aufstellte, wurde irgendwann einmal "Kapitän" oder "Admiral" und konnte auf die große Reise gehen. Die Urlaubsfahrt mit der Familie war das Ziel allen Handelns, das irdische Glück: "Es geht doch nichts", heißt es in der Rekord-Werbung von 1966, "über eine schöne Überlandpartie." Doch spätestens in den siebziger Jahren setzte eine Erosion der klassischen Familie und ihrer automobilen Rituale ein und brachte Opel in Schwierigkeiten. Wozu brauchte man einen geräumigen Wagen mit Platz für drei bis vier Kinder, wenn die meisten Ehen nach dem ersten Kind ohnehin wieder geschieden wurden?

Die von Opel damals beschworene "junge Welt" kannte kein Erbarmen: Der mit dem GT gefeierte Hedonismus wurde zum automobilen Leitbild, und das war nicht gut für Opel. Statt eines geräumigen, sparsamen Kadetts wurde der viel teurere BMW 3er zum meistverkauften Wagen nach dem Volkswagen Golf. Auch Mercedes liegt in Deutschland inzwischen mit einem Marktanteil von 10,9 Prozent deutlich vor Opel. Und während Opel im vergangenen Monat bei den Neuzulassungen zehn Prozent verlor, gewann BMW zweiunddreißig Prozent. Das liegt auch daran, daß die Mechanismen sozialer Distinktion, auf die Opel lange setzte, nicht mehr funktionieren. Das amerikanische Prinzip the bigger the better hatte Opel in der Nachkriegszeit zum Erfolg verholfen: Opel Olympia und Kapitän wurden in Detroit entworfen, kein Wagen in Deutschland war breiter und länger als ein Opel. Doch in dem Moment, da jeder Arbeiter sich einen großen Opel kaufen konnte, funktionierte die soziale Distinktion nach Motorhaubenlänge und Kofferraumgröße nicht mehr. Kleine BMWs und GTIs waren der Siegeszug der Postmoderne im Produktdesign, eine ironische Ausweichbewegung, mit der eine soziale Elite sich vor der Vereinnahmung ihrer Symbole rettete. Ein BMW 323i war enger und teurer als ein Opel, aber sein kleiner Kofferraum signalisierte dem Nachbarn: Wir brauchen keinen Kofferraum für Gaskocher und Schlauchboot – Wir fliegen nämlich in den Urlaub. Adieu, Überlandpartie.

Während bei Opel noch militärische Modellbezeichungen vom Ernst des Lebens kündeten, hatten Massenhersteller wie Ford die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Fahrzeuge nach beliebten Reisezielen benannt: "Capri", "Granada" und "Sierra" brachten den Kunden zum Träumen, während bei Opel der Muff strenger Hierarchien regierte. Daß man die klassischen Modellbezeichnungen durch Namen wie Astra, Vectra und Omega ersetzte, war aber auch ein Fehler. Was sollte man mit einem Wagen, der so hieß wie ein mittelmäßiges Bier? Und mnit einem "Meriva"? Autos, die so klangen wie billige Gesichtscremes, waren auch nicht die Lösung.

Der Marktanteil schrumpfte, parallel dazu wuchs das Imageproblem: Opel-Fahrer, hieß es, fahren entweder provozierend langsam oder idiotisch schnell, sie seien entweder blutjung oder steinalt und in jedem Fall ein latentes Verkehrsrisiko. Der Omega-Fahrer mit Lammfellschonbezug, der auf dem Weg zum Kegelclub mit beharrlichen achtzig die linke Spur blockiert; der Calibra-Fahrer, der seine Breitreifen so lange über den Asphalt radieren läßt, bis die Straße wie ein Gemälde von Jackson Pollock aussieht; die Abiturientin, die aus dem Heckfenster ihres Corsas nicht mehr herausgucken kann, weil dort nicht weniger als siebenunddreißig Stofftiere und Plüschherzen wohnen, schließlich die Fünfundachtzigjährige, die den Fahrersitz bis unters Lenkrad geschoben, mit der Nase direkt an der Windschutzscheibe klebend, ihren alten Kadett durch den Nebel ihrer Kurzsichtigkeit steuert: das ist das Quartett des Schreckens, das sich mit dem Namen Opel verbindet.

Wenn Opel heute überhaupt noch Begeisterung auslöst, dann bei einer Gruppe von Oldtimerfans, die einen Pseudostraßenkreuzer wie den Opel Admiral aus einer Haltung heraus lieben, die Susan Sontag einmal als "Camp" bezeichnete - aus einer ehrlichen Liebe zu gescheiterter Größe. Opel geriet in die Krise, weil die Firma die Herrschaft über die Träume der Kunden verlor. Admiral, Manta und Commodore waren Sehnsuchtsapparate und sollten Herzrasen beim Kunden verursachen. Daß man sich damit getreu dem napoleonischen Diktum, vom Erhabenen zum Lächerlichen sei es nur ein Schritt, bisweilen zum Gespött der Leute machte, wie der Imagewandel des Manta zeigte, war nicht das Problem. Gerade der Spott, der Opel von seiten der vermeintlich stilsicheren Audi-Yuppies und BMW-Dynamiker entgegenschlug, erzeugte bei den Fans eine geradezu irrsinnige Solidarität. Herbert Grönemeyer sang 1983: "Susi ist viel schärfer als wie Gabi und Marie / doch mit ihr ging ich nicht ins Bett / denn Heinzken ist noch viel schärfer / und Heinz, das ist mein Kadett." Die Band "Norbert und die Feiglinge" schrieb die Nationalhymne aller Mantafahrer: "Ich heiß Heinz, ja der Name ist doch schnuppe, kannst mal lieber Manni zu mir sagen / weil in meiner Opelfanclubgruppe, da heißt jeder / genauso wie sein Wagen." Das Problem von Opel waren nicht die Irren, die auf zu steilen Parkhausrampen die Frontspoiler ihrer tiefergelegten Asconas zuschanden fuhren, nicht die Dauerwellendamen im mattlackierten Manta, nicht die Fanatiker, die Kupfernägel in die Auspufftöpfe ihrer Kadetts hämmerten, weil dadurch der Wagen wie ein amerikanischer Achtzylinder klang: Das Problem von Opel waren Autos wie der Vectra oder Omega: Ikonen der Leidenschaftslosigkeit, deren Durchschnittsdesign nur eine Frage zuließ: Warum in aller Welt soll ich diesen müde dreinschauenden Blechhaufen kaufen? Wer gern Auto fuhr, wanderte zu Audi oder BMW ab, wer ein modernes Fortbewegungsmittel suchte, kaufte einen technisch überlegenen Peugeot Diesel. Die Sparstrategien des Sanierers Ignacio Lopez gaben Opel den Rest. Nach dessen Kostensenkungsexzessen sahen die Wagen nicht nur öde aus, sie waren auch noch lausig verarbeitet. Der Omega machte seinem Namen alle Ehre und eierte mit schöner Regelmäßigkeit auf den letzten Platz der Pannenstatistik.

Was tun? Vectra und Meriva mögen gute Autos sein, aber wenn sie aus ihren Scheinwerferaugen wie depressive Karpfen in die Welt gucken, werden ihnen ihre Qualitäten nichts nützen. Technisch solide Autos bauen andere billiger. Der Zafira oder der neue Tigra, ein kleiner Roadster mit Klappdach, der auch nicht peinlicher, aber viel billiger ist als ein Mercedes SLK, sind Schritte in die richtige Richtung. Doch das Pullunderhafte des Designs lastet schwer auf dem Image von Opel. Neue Opels müßten aufregender als Alfa Romeos sein, müßten schamlose Begierde auslösen, denn sonst ist der Kreis mit dem Blitz bald nur noch ein Relikt aus Zeiten, da in Rüsselsheim das Wünschen noch geholfen hat.

Niklas Maak
 




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